Zwangsadoptionen in der DDR - Eckpunkte der Aufarbeitung
Allgemeines
Erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde das Thema „Politisch motivierte Adoptionen“ („Zwangsadoptionen“) in der DDR durch drei Artikel des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ aus den Jahren 1975 (Ausgabe Nr. 51 v. 15.12.1975, S. 36 – 38 sowie Ausgabe Nr. 52 vom 22.12.1975, S. 19 -26) und 1976 (Ausgabe Nr. 49 vom 29.11.1976, S. 52 – 61), in denen über Eltern berichtet wurde, die nach einer missglückten „Republikflucht“ inhaftiert und staatlicherseits von ihren Kindern getrennt worden waren, bzw. die die Grenze zwar erfolgreich, aber ohne ihre Kinder, überwunden hatten.
Adoptionen und Vormundschaften von Kindern ausgereister DDR-Bürger
Mit Trennung gemeint war dabei nicht ein Verbleib ihrer Kinder bei Verwandten oder Freunden, sondern eine endgültige Herauslösung aus ihrem bisherigen familiären und sozialen Umfeld, u. a. durch Vermittlung zur Adoption.
Auch in den Folgejahren war das Thema „Zwangsadoptionen von Kindern in der DDR“ immer wieder einmal Gegenstand ähnlicher Berichterstattungen in den Medien sowie von Erfahrungsberichten und biographischen Publikationen. Die Daten- und Quellenlage war und ist gleichwohl noch lückenhaft.
Clearingstelle Berlin
Im Jahre 1991 wurden im Keller des Rathauses Berlin-Mitte Akten gefunden, die auf die Vornahme von „Zwangsadoptionen“ in der DDR hindeuteten.
Infolge dieses Aktenfundes wurde in Berlin eine sogenannte Clearingstelle zur Aufklärung der vorgefundenen Fälle sowie zur Beratung und Unterstützung von Bürgern, die vermuteten, von einer "Zwangsadoption" betroffen zu sein, eingerichtet. Die Stelle war bei der Zentralen Adoptionsstelle der Senatsverwaltung angesiedelt und existierte – entsprechend den im Einigungsvertrag* und im Adoptionsfristengesetz gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsfristen für in der DDR erfolgte Adoptionen – bis Oktober 1993.
*Näheres zu Artikel 234 § 13 des Einigungsvertrages (EGBGB) – Annahme an Kindes Statt
Annahmeverhältnisse, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts begründet worden sind, d.h. durch das seinerzeit zuständige Organ der Jugendhilfe (siehe § 68 Abs. 1 FGB) ausgesprochen wurden, blieben bzw. bleiben nach Art. 19 des Einigungsvertrages grundsätzlich wirksam.
Unter bestimmten Voraussetzungen eröffnete der Einigungsvertrag leiblichen Eltern jedoch die Möglichkeit, in der DDR erfolgte Adoptionen durch ein Vormundschaftsgericht aufheben zu lassen (siehe Artikel 234 § 13 EGBGB).
Leitgedanke für diese gesetzgeberische Entscheidung war dabei die Erkenntnis, dass das Vorliegen einer „Zwangsadoption“ nicht bereits dann ausgeschlossen werden kann, wenn die formalrechtlichen Voraussetzungen für eine solche Adoption im Recht der DDR gewahrt wurden (siehe hierzu Staudinger/Rauscher [2016] – Kommentierung zu Artikel 234 § 13 EGBGB, Rz. 4 und 5)
Insbesondere in Fällen, in denen die Einwilligung in die Adoption ersetzt (siehe § 70 Abs. 1 FGB) oder für verzichtbar (siehe § 70 Abs. 2 FGB) befunden worden war, konnten die leiblichen Eltern nach der Wende einen Antrag auf Aufhebung dieser Adoption stellen. Man wollte mit dieser Regelung rechtsstaatlichen Bedenken Rechnung tragen und auch eine nur entfernteste Gefährdung der verfassungsrechtlich geschützten Elternrechte ausschließen. Die Aufhebungsmöglichkeit wurde dabei nicht auf möglicherweise politisch motivierte Vorgänge beschränkt.
Konkret befassen sich die Absätze 3 bis 5 des § 13 (Artikel 234 EGBGB) mit der Aufhebung von Adoptionen, die wegen fehlender, als entbehrlich angesehener oder ersetzter Einwilligung eines Elternteils rechtsstaatlich bedenklich sein können.
Ein Antrag auf Aufhebung eines vor dem 3. Oktober 1990 begründeten Annahmeverhältnisses konnte nur bis zum 2. Oktober 1993 gestellt werden (siehe hierzu das Gesetz zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen – AdoptFristG – vom 30. September 1991, BGBl. Teil I 1991, Nr. 55 vom 02.10.1991).
Als „zwangsadoptiert“ betrachtete die seinerzeitige Clearingstelle jene Kinder, die ihren Eltern wegen sogenannter politischer Delikte wie beispielsweise „Republikflucht“ (§ 213 StGB/DDR), „Staatsfeindliche Hetze“ (§ 106 StGB/DDR) oder „Boykotthetze“ gem. Art. 6 Abs. 2 der Verfassung der DDR vom 7.10.1949 (GBl. I S. 5) weggenommen wurden, ohne dass in der Vergangenheit ein gegen das Wohl des Kindes gerichtetes Versagen der Eltern nachweisbar war.
Zu „Zwangsadoptionen“ im Sinne dieser Definition kam es nach dem Abschlussbericht der Clearingstelle in sechs Fällen in den Jahren 1969 bis 1976 sowie in einem weiteren Fall im Jahr 1988.
Abschlussbericht der Clearingstelle
Unberücksichtigt blieben bei den von der Clearingstelle veröffentlichten Fallzahlen die Fälle einer staatlich erwirkten Trennung von Eltern und Kind, die mit der sog. Asozialität (§ 249 StGB DDR) der Eltern begründet wurden.
Dissertation zum Thema „Zwangsadoptionen in der DDR“
In einer im Jahre 2009 erschienenen Dissertation zum Thema „Zwangsadoptionen in der DDR“ wurden die von der Clearingstelle Berlin als Fälle einer politisch motivierten („Zwangs-„) Adoption gewerteten Sachverhalte einer eingehenden Fallanalyse unterzogen (veröffentlicht im BWW-Berliner-Wissenschafts-Verlag, Berlin 2009).
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
Das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) hat sich in einer im Januar 2017 von der damaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, in Kooperation mit dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (MBJS) in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie zu „Dimension und wissenschaftliche Nachprüfbarkeit politischer Motivation in DDR-Adoptionsverfahren, 1966 – 1990“ dem Thema in einem nochmals erweiterten Verständnis des Begriffs der Zwangsadoption gewidmet.
Die Verfasser der Studie lenkten den Fokus ihrer Untersuchungen dabei insbesondere (auch) auf Unterdrückungsmechanismen, die über den engen strafrechtlichen Bereich der ureigenen politischen Delikte hinausgehen. Zugleich plädierten sie dafür, bei der notwendigen weiteren Aufarbeitung des Themenkomplexes den Blick nicht auf Adoptionsverfahren zu beschränken, die im Zusammenhang mit § 70 Abs. 1 FGB standen , der die Möglichkeit vorsah, die für eine Adoption nach § 69 Abs. 1 FGB erforderliche Einwilligung der Eltern auf Klage des Referates Jugendhilfe gerichtlicherseits zu ersetzen. Vielmehr müssten auch sonstige familienrechtliche Eingriffe, welche die endgültige Trennung von Eltern und Kind aus sachfremden/politischen Gründen zum Ziel hatten, Gegenstand der Untersuchung sein. Als praktisch bedeutsam wurden hier – insoweit im Unterschied zur Definition der seinerzeitigen Clearingstelle (s.o.) – gerade die Fälle eingeschätzt, in denen es um Formen der unterstellten „Asozialität“ (§ 249 StGB/DDR) von (alleinerziehenden) Müttern geht.
Vorstudie vom 26. Februar 2018
Petitionsausschuss und öffentliche Sachverständigenanhörung
Am 25. Juni 2018 befasste sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mit dem Thema „Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR“ in einer öffentlichen Sachverständigenanhörung. Eingereicht worden war die Petition im April 2018 von der „Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR".
Im Ergebnis der Anhörung waren sich die Sachverständigen darüber einig, dass die wissenschaftliche Forschung zum Thema „Zwangsadoption in der ehemaligen DDR“ intensiviert werden müsse.
Bundestagsbeschluss
Der Deutsche Bundestag hat vor diesem Hintergrund in seiner Sitzung am 28. Juni 2019 mit großer Mehrheit einem Antrag der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD zur Aufarbeitung von Zwangsadoptionen in der SBZ/DDR 1945 – 1989 zugestimmt. BT- Drucksache 19/11091 vom 25. Juni 2019, veröffentlicht am 26. Juni 2019 und Plenarprotokoll Nr. 19/108 vom 28. Juni 2019, veröffentlicht am 1. Juli 2019
Einrichtung einer Zentralen Auskunfts- und Vermittlungsstelle
In Umsetzung des vorgenannten Bundestagsbeschlusses wurde eine Zentrale Auskunfts- und Vermittlungsstelle (ZAuV) beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen eingerichtet.
Beauftragung einer Hauptstudie
Zum Stand der Beauftragung informiert das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) auf seiner Internetseite.
Beauftragung einer Hauptstudie
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