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Adoptionswesen in der DDR

Allgemeines

Die Annahme an Kindes Statt (Adoption) war in den §§ 66 -78 des Familiengesetzbuches der DDR (FGB) geregelt.

Nach § 69 Abs. 3 FGB konnte die Einwilligung der Eltern des Kindes erteilt werden, ohne dass diese die Person und den Namen des Annehmenden erfuhren. Von dieser früher allgemein üblich gewesenen Möglichkeit einer sogenannten Ingoknitoadoption wurde in der DDR ausschließlich Gebrauch gemacht (siehe hierzu Peter G. Kühn, in: „Adoptierte auf der Suche nach ihrer genealogischen Verwurzelung“, S. 77/78 sowie Michael-Janitzki, in: „Adoption in der DDR“, S. 88/89).

Durch die Adoption wurde zwischen dem Annehmenden und dem angenommenen Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten begründet (vgl. § 66 FGB).

Die Einleitung einer Adoption erfolgte i. d. R. durch einen Antrag der (vorgesehenen) Adoptiveltern bei dem zuständigen Referat Jugendhilfe. Die Entscheidung über diesen Antrag erfolgte durch einen entsprechenden Beschluss des Jugendhilfeausschusses (vgl. § 68 Abs. 1 FGB und §§ 21 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nr. 2c) sowie 16 Jugendhilfeverordnung der DDR [JHVO]).

Die Annehmenden mussten in der Lage sein, allen - aus Sicht des Staates maßgeblichen - Anforderungen an die Kindererziehung gerecht werden zu können. Neben der Erfüllung der in § 43 FGB geregelten Pflichten zur Sicherstellung der elementaren Grundbedürfnisse des Kindes gehörte hierzu insbesondere auch die Gewährleistung und Sicherstellung des in § 42 FGB verankerten „sozialistischen Erziehungsziels“.

In der gesetzlichen Vorgabe bestimmter Erziehungsziele ist ein wesentlicher Unterschied zum damaligen und heutigen bundesrepublikanischen Recht festzustellen. Sowohl im Grundgesetz (Artikel 6 GG) als auch im Sozialgesetzbuch (SGB) VIII (§ 1 Abs. 2 SGB VIII) ist die Wertneutralität des Staates verankert. Die „Grundrichtung der Erziehung“ wird ausdrücklich den Eltern überlassen.

Als spezifische Aufgabe der Jugendhilfeorgane wurde es angesehen, dass sie für elternlose und (endgültig) familiengelöste Kinder und Jugendliche nicht irgendwelche, sondern auch im Hinblick auf das sozialistische Erziehungsziel geeignete - also politisch zumindest unauffällige - Adoptiveltern finden sollten (siehe Julius Hoffmann, in: „Jugendhilfe für elternlose und familiengelöste Kinder und Jugendliche in der DDR“, in: RdJB 1972, S. 200 ff. [20]).

Sofern das Kind noch leibliche Eltern hatte, war die Adoption nach § 69 FGB grundsätzlich an deren Einwilligung gebunden.

Ab dem 14. Lebensjahr war auch die Einwilligung des Kindes zur Adoption zwingend vorgeschrieben.

Unter bestimmten Voraussetzungen konnte eine Adoption allerdings auch ohne Einwilligung der Eltern durchgeführt werden. Das FGB sah hierfür zwei Möglichkeiten vor:

Ersetzung der elterlichen Einwilligung (§ 70 Abs. 1 FGB)

Gemäß § 70 Abs. 1 FGB bestand die Möglichkeit, dass auf Klage des Organs der Jugendhilfe die Einwilligung der Eltern durch Entscheidung des Gerichts ersetzt wurde, wenn

  • die Verweigerung dem Wohl des Kindes entgegenstand oder
  • sich aus dem bisherigen Verhalten eines Elternteils ergab, das ihm das Kind und seine Entwicklung gleichgültig waren.

Nach der Richtlinie des Obersten Gerichts der DDR (OG-Richtlinie) Nr. 25 zu Erziehungsrechtsentscheidungen vom 25.09.1968 stand die Weigerung zur Adoptionsfreigabe dem Wohl des Kindes entgegen, wenn die leiblichen Eltern den Minimalanforderungen an eine geordnete Familienerziehung nicht gerecht werden (können) und zugleich eine Adoptivfamilie vorhanden ist, die dem Kind eine im Sinne der Ziele der §§ 42, 43 FGB bessere Erziehung bieten könnte (s. OG-Richtlinie Nr. 25 E Rdz. 41).

Bei der Beurteilung des „Wohls des Kindes“ ging es aber nicht immer und ausschließlich um die Belange und Bedürfnisse des Kindes. Vielmehr konnte auch unangepasstes/von der Norm abweichendes Verhalten der Eltern bzw. ihre Haltung zu Staat und Gesellschaft als Kindeswohlgefährdung interpretiert werden.

Urteil des Obersten Gerichts der DDR aus dem Jahr 1958

Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Obersten Gerichts der DDR aus dem Jahr 1958 hingewiesen. Die in diesem Urteil getroffene Entscheidung, sog. „Republikflüchtigen“ kein Sorgerecht zuzusprechen, wurde damit begründet, die Eltern hätten ihre Pflicht verletzt, ihr Kind zu einem verantwortungsbewussten Bürger „unseres Staates“ zu erziehen und die DDR damit verraten (OG der DDR, Entscheidung vom 25.8.1958 – 1/Zz F 35/38, NJ 1958, 684 f.)

Das Wohl des Kindes wird in den Ausführungen des OG mithin von einer staatstreuen Haltung der Eltern und „ordentlichen“ Familienverhältnissen abhängig gemacht. Die individuellen Befindlichkeiten des Kindes, seine individuellen Belange und vor allem seine tatsächlichen sozialen Bindungen spielten bei dieser Betrachtung keine Rolle.

Indem bei der Beurteilung des „Wohls des Kindes“ neben den allgemein gültigen Kriterien auch die politisch-ideologische Haltung der Eltern als Kriterium herangezogen wurde, erfolgte eine sachfremde und missbräuchliche Anwendung des Begriffes. Elementare Rechte der Eltern konnten so grundsätzlich jederzeit beschnitten werden, sofern sich diese nicht staatstreu verhielten (siehe Dr. Warnecke, in: „Zwangsadoptionen in der DDR“, S. 64 ff., 78 ff, 321 sowie in der Vorstudie des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) zu „Dimensionen und wissenschaftliche Nachprüfbarkeit politischer Motivation in DDR-Adoptionsverfahren 1966-1990“, S. 19-20).

Auch nach dem heutigen bundesrepublikanischen Recht handelt es sich bei dem Begriff der Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 BGB bzw. des § 42 SGB VIII zwar um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff. Im Unterschied zur ehemaligen DDR unterliegt er aber gerade vor diesem Hintergrund der vollständigen Überprüfung durch die Familiengerichte. Diese wiederum entscheiden auf der Basis der Einschätzungen und Gutachten von Fachleuten und nach objektiv bestimmbaren Kriterien. In ihre Entscheidung muss dabei auch die Werteoffenheit des Grundgesetzes in Bezug auf elterliche Erziehungskonzepte einbezogen werden. Die Feststellung einer objektiv bestehenden Kindeswohlgefährdung ist also an hohe Hürden gebunden. Das Jugendamt selbst kann bei Gefahr im Verzuge zwar selbst eine drohende Kindeswohlgefährdung feststellen und einschreiten. Auch eine solche Entscheidung muss im Nachhinein aber gerichtlich bestätigt werden.

Verzicht auf die elterliche Einwilligung (§ 70 Abs. 2 FGB)

Gemäß § 70 Abs. 2 FGB konnte auch ohne Einwilligung eines Elternteils dem Antrag des Annehmenden auf Adoption durch Beschluss des Jugendhilfeausschusses, d. h. ohne Anrufung eines Gerichts, entsprochen werden, wenn

  • dieser Elternteil zur Abgabe einer Erklärung für eine nicht absehbare Zeit außerstande war
  • dem Elternteil das Erziehungsrecht gemäß § 51 FGB entzogen wurde oder
  • der Aufenthalt des Elternteils nicht ermittelt werden konnte.

Die erste Alternative bezog sich vorrangig auf entmündigte Bürger und auf Eltern unbekannten Aufenthalts.

In der – zahlenmäßig wohl weitaus größeren – Gruppe von Eltern, denen das Erziehungsrecht entzogen worden war (siehe hierzu auch BT-Drucksache 12/932 vom 11.7.1991), sah der Gesetzgeber der DDR keine Grundlage mehr für deren Mitwirkung an einer Adoption, denn eine solche Beteiligung hätte naturgemäß die Berechtigung und den Sinn des Entzuges in Frage gestellt (so etwa ausdrücklich in: Anita Grandke, in „Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR“, 2008, S. 120 und S. 217). Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR

Die zweite Alternative verdeutlicht insoweit in besonders anschaulicher Weise den mit dem Entzug des Erziehungsrechts (auch) bezweckten Sanktionscharakter gegenüber den Eltern.

Die zuletzt genannte Alternative hatte insbesondere Bedeutung in Fällen, in denen Eltern die DDR „ohne Beachtung der Meldevorschriften“ verlassen hatten.
Der Eingriff in die elterlichen Erziehungsrechte aus politisch-ideologischen Gründen war mithin zum einen über die sachfremde und missbräuchliche Auslegung des Begriffs „Wohl des Kindes“ und zum anderen über die Ersetzung bzw. den Verzicht auf die elterliche Einwilligung möglich.

Rechtliche Möglichkeiten zur Überprüfung/Aufhebung

Für leibliche Eltern, die das Ziel verfolgten, die Aufhebung einer in der DDR erfolgten Adoption ihres Kindes zu erreichen, bestand nach § 74 FGB zwar grundsätzlich die Möglichkeit, auf eine Aufhebung der Adoption ihres Kindes zu klagen, wenn

  • ihre Einwilligung zu dessen Adoption ersetzt worden war (= Fall des § 70 Abs. 1 FGB)
  • sie zur Abgabe der Einwilligung außerstande gewesen sind
  • ihr Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte.

Allerdings gab es in keinem der vorgenannten Fälle einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Adoption. Die Entscheidung hierüber war vielmehr in das Ermessen des Gerichts gestellt (siehe hierzu auch Dr. Warnecke, in: „Bestimmungen zum Adoptionsrecht in der DDR-Jugendhilfe“, in: MBJS BB, S. 15 f.).

In der Praxis blieben Klagen auf Aufhebung einer Adoption in aller Regel schon deshalb ohne Erfolg, weil es mit dem Selbstverständnis der für die Vorbereitung und Entscheidung über die Annahme an Kindes Statt zuständigen Entscheidungsträger nicht in Einklang gestanden hätte, Fehler/Mängel (gleich welcher Art) bei der Entscheidungsfindung einräumen zu müssen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um politisch motivierte Entscheidungen handelte.

In dem Lehrbuch zum Familienrecht der DDR heißt es dementsprechend:

„Eine Aufhebung auf Klage der leiblichen Eltern nach § 74 hat bisher kaum Anwendung finden müssen. Das hängt eindeutig mit den Voraussetzungen für die Annahme zusammen. Auch künftig wird die Klagemöglichkeit der leiblichen Eltern durch eine sorgfältige Vorbereitung der Entscheidungen über die Annahme an Kindes Statt selten praktische Bedeutung erlangen“ (S. 201)

Durch Verweis auf eine „sorgfältige Vorbereitung der Entscheidung“ wird also impliziert, dass es eines Rechtsmittels/einer Überprüfungsmöglichkeit im Bereich der Annahme an Kindes Statt eigentlich gar nicht bedarf, weil es auf diesem Gebiet grundsätzlich keine Fehlentscheidungen gibt (siehe „Lehrbuch zum Familienrecht“, S. 199).

In Fällen einer auf § 70 Abs. 2 FGB gestützten Adoption, d. h. in Fällen, in denen auf die Einwilligung der Eltern zur Adoptionsfreigabe ihres Kindes verzichtet wurde, weil ihnen zuvor bereits das Erziehungsrecht entzogen worden war, bestand zudem von vornherein keine Klagemöglichkeit. In dieser – besonders massiv in Elternrechte eingreifenden – Fallkonstellation bestand für die Eltern mithin auch theoretisch keinerlei Möglichkeit mehr, die Adoption ihres Kindes wieder rückgängig zu machen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine einmal erfolgte Adoption in der Regel endgültig war und blieb.

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