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Staatliche Eingriffsmöglichkeiten in die elterlichen Erziehungsrechte

Die Situation vor Inkrafttreten des Familiengesetzbuches der DDR (FGB)

In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands blieb zunächst das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in der Fassung von 1. Januar 1900 unverändert in Kraft.

Bis zum Inkrafttreten des Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1965 (GBl. I/DDR 1966, S. 1 ff.) am 1. April 1966 fanden dementsprechend die dort im Vierten Buch (Familienrecht) enthaltenen Bestimmungen (u. a. die zur Annahme an Kindes Statt [§§ 1741 ff.]) – jedenfalls formal – weiterhin Anwendung.

Als Rechtsgrundlage für Eingriffe in die elterlichen Rechte stützte man sich ebenfalls zunächst auf die insoweit maßgeblichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung vom 1. Januar 1900 (§§ 1666, 1883 BGB) sowie auf die Bestimmungen §§ 63,67 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) vom 9. Juli 1922 (Reichsgesetzblatt 1922, Nr. 54, Teil I, ausgegeben zu Berlin, den 29. Juli 1922).

Bereits mit der Gründung der DDR und dem Erlass ihrer ersten Verfassung vom 7. Oktober 1949 (GBl. I S. 5) wurde allerdings ein Prozess der „Umgestaltung des bürgerlichen Familienrechts“ eingeleitet.

Verfassung DDR 7.10.1949

Bedeutsame Verfassungsbestimmungen mit „familienrechtlichem Bezug“, die nunmehr Eingang in die Anwendung und Auslegung der vorbenannten Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches finden sollten, waren insbesondere Art. 30 der Verfassung der DDR von 1949 (Schutz von Ehe und Familie) und Art. 31 der Verfassung der DDR von 1949 (Erziehungsziel).

Die in den vorbenannten Artikeln der Verfassung der DDR normierten Verfassungsgrundsätze waren gemäß Art. 144 Abs. 1 unmittelbar geltendes Recht. Sie bewirkten, dass das Familienrecht des BGB zumindest teilweise außer Kraft gesetzt wurde. Insbesondere im Bereich des Eltern-Kind-Verhältnisses kam es zu starken Veränderungen im Vergleich zum bisher geltenden Recht. Aus vormals bürgerlichem Recht wurde „sozialistisches“ Recht.

Eine weitere - bereits vor Inkrafttreten des Familiengesetzbuches der DDR wirksam werdende - elementare Veränderung im Bereich des Familienrechts brachte die Reform des Gesetzes über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik - Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) - vom 2. Oktober 1952. Im Zuge dieser Reform wurde nämlich u. a. den Vormundschaftsgerichten ihre bisher bestehende Zuständigkeit für Entscheidungen über das Sorge-/Erziehungsrecht entzogen. Zugleich erfolgte eine Übertragung der entsprechenden Zuständigkeit auf die Organe der Jugendhilfe. Grundlage für diese Zuständigkeitsverlagerung war die Verordnung über die Übertragung der Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 15. Oktober 1952.

Konkret bedeutete diese Veränderung Folgendes: Ab diesem Zeitpunkt wurde über so eine einschneidende Maßnahme wie dem Sorgerechts-/Entziehungsrechtsentzug nicht mehr in einem gerichtlichen Verfahren entschieden. Vielmehr erfolgte die Entscheidung nunmehr durch eine Verwaltungsbehörde bzw. mit dem Jugendhilfeausschuss durch ein politisches Gremium aus ehrenamtlichen Mitgliedern, die nicht unabhängig waren, sondern staatlichen Weisungen unterlagen. Das für einen Rechtsstaat elementare Prinzip der Gewaltenteilung wurde damit außer Kraft gesetzt. Im Ergebnis bedeutete dies eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten für von staatlichen Maßnahmen der Jugendhilfeorgane betroffene Eltern.

Die Situation nach Inkrafttreten des Familiengesetzbuches der DDR (FGB)

In den Jahren 1965 und 1966 wurden das Familienrecht und das Jugendhilferecht in der DDR grundlegend reformiert. Die bis dahin geltenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) traten außer Kraft. An ihre Stelle traten die Regelungen des Familiengesetzbuches der DDR (FGB) vom 20. Dezember 1965, in Kraft getreten am 1. April 1966, und die „Verordnung über die Aufgaben und Arbeitsweise der Organe der Jugendhilfe“ – Jugendhilfeverordnung (JHVO) vom 22. April 1965, aufgehoben und neu erlassen am 3. März 1966.

Abgesehen davon, dass der Staat danach darauf zu achten hatte, dass sich die Eltern um das Wohl des Kindes (körperliche Entwicklung und Gesundheit des Kindes, Gefährdung seiner wirtschaftlichen Interessen) kümmern, war es in erster Linie Aufgabe des Staates bzw. der Gesellschaft die Familie bei der Kindererziehung - im sozialistischen Sinne - zu unterstützen.

Wurde aus Sicht des Staates eine Fehlentwicklung in der vorgegebenen sozialistischen Erziehung festgestellt, so wurde, um „korrigierend“ Einfluss zu nehmen, das nach der JHVO zuständige Organ der Jugendhilfe tätig.

Führten die „Unterstützung“ und die den Eltern unterbreiteten „Hilfsangebote“ gemäß § 49 Abs. 2 FGB, die in der Regel – entgegen der Formulierung im Gesetz – letztlich nicht abgelehnt werden konnten, nicht zum vom Staat erwünschten Erfolg, so waren weitere Maßnahmen durch das Organ der Jugendhilfe zu ergreifen.

Hierzu zählten:

Erziehungsmaßnahmen gemäß § 50 FGB

Erziehungsmaßnahmen gemäß § 50 FGB

Das zuständige Organ der Jugendhilfe konnte auf dieser Grundlage den Eltern erzieherische Pflichten auferlegen oder Maßnahmen zur Erziehung des Kindes treffen, wenn die Erziehung und Entwicklung des Kindes aus Sicht der Jugendhilfe gefährdet war. So konnte z.B. eine vorübergehende Unterbringung außerhalb des Elternhauses bei Pflegeeltern oder in einem Heim veranlasst werden.

Wie lange eine angeordnete Maßnahme beibehalten wurde, war gesetzlich nicht geregelt und wurde in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände entschieden.

Ausführungen zur Frage, wann eine „Gefährdung der Erziehung und Entwicklung des Kindes“ vorliegt, finden sich in einer Richtlinie des Obersten Gerichtes der DDR. Konkret handelte es sich dabei um die Richtlinie Nr. 25 des Plenums des Obersten Gerichts zu Erziehungsentscheidungen vom 25.09.1968 (GBl. DDR II 1968, S. 847 = NJ 1968, 651).

Danach sollte eine „Erziehungsgefährdung“ dann vorliegen,

„wenn die Erziehungsberechtigten den Mindestanforderungen für eine ausreichende körperliche, geistige und moralische Entwicklung der Kinder nicht gerecht werden und hierdurch die Vorzüge der Familienerziehung nicht mehr bestehen.“

Die Erziehungs- und Entwicklungsgefährdung musste danach nicht unbedingt in Form der Vernachlässigung des Kindes sichtbar werden. Sie konnte vielmehr auch im Verhalten der Eltern liegen. So sollte beispielsweise ein Elternhaus, das „so erheblich von den gesellschaftlichen Normen abweicht, dass wegen des negativen Vorbildes eine Fehlentwicklung des Kindes mit Sicherheit zu erwarten ist“, eine Gefährdungssituation begründen (siehe Eberhard Mannschatz, in: JH 73, 170 ff).

Durch die Variante der „Gefährdung von Erziehung und Entwicklung“ bestand in der DDR ein deutlich größerer Spielraum für staatliche Eingriffe in elterliche Erziehungsrechte als in der Bundesrepublik. Denn nach bundesrepublikanischem Recht kann die Erziehung nur in den engen Grenzen des dem Staat gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 2 des Grundgesetzes eingeräumten „Wächteramtes“ überprüft werden.

Entzug des Erziehungsrechts gemäß § 51 FGB

Entzug des Erziehungsrechts gemäß § 51 FGB

Das zuständige Organ der Jugendhilfe konnte bei schwerer schuldhafter Verletzung der elterlichen Pflichten - wozu auch die Pflicht zur sozialistischen Erziehung des Kindes gehörte - und einer infolgedessen angenommenen Gefährdung der Entwicklung des Kindes, als äußerste Maßnahme auf Entzug des Erziehungsrechts Klage vor Gericht erheben. Diese schwerwiegende Maßnahme war in der Regel als endgültig anzusehen.

In Fällen, in denen sich Eltern - aus Sicht des Staates - pflichtwidrig, d. h. politisch nicht korrekt verhielten, wurde das Erziehungsrecht nicht zum Schutz des Wohls des Kindes im eigentlichen Sinne entzogen. Vielmehr diente es insoweit als Instrument der Missbilligung und Bestrafung von Verhaltensweisen der Eltern.

Nicht selten kam es in der Folge zu einer Adoption des Kindes, für die bei einem vorherigen Entzug des Erziehungsrechts nicht die sonst - bis auf sehr wenige weitere Ausnahmen - erforderliche Zustimmung der Eltern eingeholt werden musste.
Umfassende Informationen sind in der Ausarbeitung von Dr. Marie-Luise Warnecke „Bestimmungen zum Adoptionsrecht in der DDR-Jugendhilfe“ in MBJS BB, S. 1 ff. [10] nachzulesen.

Eingriffsmöglichkeiten außerhalb des FGB

Eingriffsmöglichkeiten außerhalb des FGB

Eine im FGB nicht ausdrücklich geregelte Form des staatlichen Eingriffs in elterliche Erziehungsrechte bestand darin, an die Eltern – als Reaktion auf ein nach Auffassung der maßgeblichen Akteure der Organe der Jugendhilfe bestehenden Erziehungsversagens – unmissverständlich formulierte und kontrollierbare Forderungen zu stellen, die diese in einem genau begrenzten Zeitraum zu erfüllen hatten. Der maßgebliche Zeitraum sollte ein Jahr nicht überschreiten. Die Erziehungsberechtigten wurden in diesem Zusammenhang vor die „Alternative“ gestellt, entweder den an sie gestellten Forderungen innerhalb des festgelegten Zeitraumes nachzukommen oder bei ihrer Nichterfüllung die Konsequenzen eines Erziehungsrechtsentzuges, unter Umständen sogar auch eines Strafverfahrens gem. § 142 StGB/DDR zu tragen. Mittels der sogenannten „Alternativentscheidung“ wurde i. d. R. massiver Druck auf die Eltern ausgeübt (siehe hierzu Gisela Brümmer, in: „Die Entwicklung des elterlichen Sorge- und Erziehungsrechts in der DDR“, S. 92 f.).

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